Eingefrorenes Geld – erst Reihenfolge, dann Verwendung
Von Timo Braun – veröffentlicht durch den Ethischer Rat der Menschheit

Am Freitag signalisierte der deutsche Finanzminister in Kopenhagen Offenheit, Ideen zur Nutzung der in der EU eingefrorenen russischen Vermögenswerte zu prüfen – bei gleichzeitiger Anerkennung rechtlicher Hürden. Bislang nutzt die EU nur Zinsen und Erträge dieser Gelder; eine Ausweitung wird diskutiert, bleibt aber juristisch und politisch umstritten. Quellen: Reuters, Bloomberg
Die zentrale Frage lautet: Wer ist rechtlich befugt, darüber zu verfügen – und auf welcher Grundlage? Solange das nicht eindeutig geklärt ist, verbietet sich die Debatte über „Verwendungszwecke“. Denn hier geht es nicht nur um Geld, sondern um Vertrauen und Rechtssicherheit im internationalen System. In der EU liegen Schätzungen zufolge rund 200 Milliarden Euro an russischen Zentralbank-Aktiva immobilisiert – die Größenordnung ist erheblich. Quellen: EU-Dokumente, Presseberichte
Über eingefrorene Milliarden darf zudem nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg entschieden werden. Russland hat im finanziellen Verhältnis bislang keinen einzelnen EU-Staat verletzt. Es darf daher nicht der Eindruck entstehen, als könne man Gelder zweckentfremden, nur weil sie greifbar erscheinen. Alles andere wäre ein Bruch des Völkerrechts und würde Vertrauen in den gesamten Rechtsrahmen zerstören.
Die Metapher ist simpel: Man zertritt kein Spielzeug und fragt anschließend, wofür man die Teile nutzt. Übertragen heißt das: Eine Nutzung ohne tragfähige Rechtsbasis würde Vertrauen zerstören, Märkte destabilisieren und Präzedenz setzen. Auch die drohenden Gegenreaktionen sind real und benannt. Quellen: russische Regierungsäußerungen
Historische Klarstellung
Finanzfragen wie Reparationen, Wiedergutmachung oder Wiederaufbauhilfen wurden historisch erst nach Kriegsende und im Rahmen gemeinsamer Friedensverhandlungen geregelt. Voraussetzung dafür ist ein Zustand der Befriedung – erst dann können Parteien auf Augenhöhe am Tisch sitzen.
Wer schon während eines laufenden Krieges über die Verwendung eingefrorener Gelder beschließt, verschiebt diese Ordnung:
- vom Prinzip Frieden → Verhandlung → Finanzlösung
- hin zu Krieg → einseitiger Zugriff → Eskalation.
Damit wird ein friedenspolitischer Grundsatz gebrochen, der seit 1945 die Nachkriegsordnung trägt. Selbst die sogenannte „Rechtsfrage“ ist zu diesem Zeitpunkt kritisch: Wenn sie ohne den Betroffenen entschieden wird, wirkt sie als unmittelbarer Eskalationsimpuls.
Schlussfolgerung
Die richtige Reihenfolge lautet: Frieden zuerst. Finanzfragen – seien es Wiedergutmachung, Wiederaufbau oder die Nutzung eingefrorener Gelder – sind erst nach einem Kriegsende legitim verhandelbar, und zwar gemeinsam am Tisch mit den Betroffenen. Alles andere ist ein direkter Bruch mit der Nachkriegsordnung und ein Spiel mit dem Vertrauen, auf dem internationale Stabilität ruht.
Quellenhinweis
Stand: 19. September 2025. Quellen: Reuters, Bloomberg, EU-Dokumente und öffentliche Erklärungen.