Widerspruchslösung bei Organspende – Würdebruch oder Fortschritt?
Von Timo Braun – veröffentlicht durch den Ethischer Rat der Menschheit

1. Politischer Anstoß
In dieser Woche forderten mehrere Bundesländer eine Reform des Transplantationsgesetzes, um die Widerspruchslösung einzuführen. Medien wie die FAZ und der Deutschlandfunk berichteten ausführlich über diesen neuen Vorstoß. Erneut steht im Raum, den Körper eines jeden Bürgers nach dem Tod automatisch verfügbar zu machen, solange kein Widerspruch dokumentiert ist.
2. Der Kernfehler
Die Annahme, dass eine Widerspruchslösung mehr Organe rettet, ist empirisch nicht haltbar. Aktuelle Studien belegen: Gesetzliche Defaults allein führen nicht zu mehr Spenden. Der spanische Erfolg, oft als Argument ins Feld geführt, beruht in Wahrheit auf Klinikstrukturen: Transplantationskoordinatoren, Angehörigenbegleitung, 24/7-Bereitschaft. Das Gesetz war nicht der ausschlaggebende Hebel.
3. Menschenwürde vor Systeminteresse
Die Menschenwürde ist unantastbar – auch über den Tod hinaus. Eine Organentnahme ohne ausdrückliche Zustimmung verletzt dieses Grundprinzip. Schweigen ist kein Ja. Organspende kann nur Geschenk sein, niemals Automatismus.
4. Ungeklärte Fragen
Die Debatte blendet eine entscheidende Dimension aus: Was sind wir? Fallberichte und biologische Evidenz zeigen, dass Organe mehr als Gewebe sind. Mikrochimärismus, Persönlichkeitsveränderungen nach Transplantationen und offene Fragen zur Verteilung von Bewusstsein im Körper legen nahe: Organe tragen Identität. Solange dies wissenschaftlich ungeklärt ist, bleibt jede zwangsweise Entnahme unverhandelbar.
5. ECoH-Forderungen
Der Ethische Rat der Menschheit fordert:
- Mandated Choice: Verpflichtende Willensabfrage bei Ausweisdokumenten, jederzeit widerrufbar.
- Klinikprozesse stärken statt symbolischer Gesetzesänderungen.
- Volle Transparenz über Spenderaten, Wartezeiten und Angehörigenentscheidungen.
- Angehörigenrechte sichern, auch bei dokumentierter Zustimmung.
- Dogmafreie Aufklärung, die Identitäts- und Bewusstseinsdimension einschließt.
6. Leitthese
Organspende rettet Leben – aber nur, wenn sie Geschenk bleibt. Der Zugriff des Staates auf den Körper ohne Einwilligung ist ein Würdebruch.
Schlusswort
Die Debatte um die Widerspruchslösung ist nicht technischer, sondern existenzieller Natur. Sie entscheidet darüber, ob der Mensch als Subjekt geachtet bleibt oder als Ressource behandelt wird. Der ECoH hält fest: Mehr Leben rettet man durch Klinikstrukturen, nicht durch Gesetze.