Das Plastiktüten-Paradox – Wenn Gesetze Natur zerstören
Von Timo Braun – veröffentlicht durch den Ethischer Rat der Menschheit

Im Versuch, per Gesetz „nachhaltig“ zu werden, wurden dünne Plastiktüten reduziert oder verboten – und durch dickere, teure „Mehrweg“-Taschen ersetzt. Ergebnis: mehr Materialeinsatz, verschobene Mülllawinen, Zusatzkosten für Bürger und Rebound-Effekte (u. a. mehr Müllbeutelverkäufe). Dieses Fallbeispiel zeigt, wie symptomorientierte Regulierung ohne Ganzheitlichkeit ökologische und soziale Schäden verstärken kann. ⬏ 1 ⬏ 2 ⬏ 3 ⬏ 4 ⬏ 5 ⬏ 6
Der politische Rahmen
EU-weit wurde der Verbrauch leichter Kunststofftragetaschen per Richtlinie 2015/720 gezielt reduziert; parallel verbietet die Einwegplastik-Richtlinie seit 2021 bestimmte Produkte (u. a. Strohhalme). ⬏ 1 ⬏ 2 National wurden Abgaben/Verbote umgesetzt (z. B. England: Pflichtabgabe, seit 2021 auf 10 Pence erhöht). ⬏ 5
Die unbeabsichtigte Verschiebung
Die dünne Einwegtüte wich „haltbareren“ Varianten (dickere Kunststoff-Mehrwegtaschen, Non-Woven-PP, Baumwolle). Lebenszyklusanalysen zeigen: Dickere/„mehrwegfähige“ Taschen amortisieren ihre höhere Umweltlast erst nach vielen tatsächlichen Wiederverwendungen – mitunter sehr vielen (Baumwolle besonders hoch). ⬏ 3 ⬏ 8 In der Praxis sammeln sich solche Taschen jedoch oft an und werden dennoch entsorgt.
Rebound-Effekte: mehr Müllbeutel, mehr Tüten an anderer Stelle
Empirie belegt, dass Verbote/Gebühren für Tragetaschen zu Mehrverkäufen unregulierter Müllbeutel führen – ein Teil der Plastikreduktion wird dadurch wieder aufgezehrt (Kalifornien-Studie).⬏ 4 Aktuelle Datensätze aus England zeigen zudem, dass Single-Use-Tütenverkäufe zuletzt wieder angestiegen sind, u. a. getrieben durch Liefer-/Onlinekanäle. ⬏ 6 ⬏ 7
Was wirklich hilft
Regulierung wirkt nur, wenn sie gesamthaft designt ist: echte Wiederverwendungsquoten, Mindesthaltbarkeiten + Pfandsysteme für Taschen, materialneutrale Ökobilanz-Schwellen, verpflichtende Rücknahme/Closed-Loop-Recycling im Handel, Monitoring von Nebenfolgen (Müllbeutelverkäufe) und klare Verbraucherinformationen, ab wann sich welche Tasche ökologisch „lohnt“. Ohne diese Elemente entsteht ein Widerspruch: moralisch „grün“, praktisch aber mehr Material und Kosten.
Quellen
- [⬏ 1]: EU-Richtlinie 2015/720 zur Verringerung des Verbrauchs leichter Kunststofftragetaschen. eur-lex.europa.eu
- [⬏ 2]: EU-Einwegplastikrichtlinie, seit 3. Juli 2021 in Kraft. ec.europa.eu
- [⬏ 3]: Dänische Umweltbehörde (2018): Life Cycle Assessment of grocery carrier bags. mst.dk
- [⬏ 4]: Taylor, R.L.C. (2019): Bag leakage: The effect of disposable carryout bag regulations on unregulated bags. Journal of Environmental Economics and Management. sciencedirect.com
- [⬏ 5]: DEFRA (UK): Single-use plastic carrier bags charge: data for England. gov.uk
- [⬏ 6]: WRAP (2020): UK Plastics Pact Annual Report. wrap.org.uk
- [⬏ 7]: The Guardian (2024): Single-use plastic bag sales rise again in England. theguardian.com
- [⬏ 8]: UNEP (2020): Single-use supermarket plastic bags and alternatives – Life cycle assessment. unep.org